Dicker Keiler

Die schönste Belohnung nach einer langwierigen Nachsuche ist das glückliche Leuchten in den Augen des Schützen, seine Erleichterung und Freude, dass das Stück doch noch zur Strecke gekommen ist!

Die um Mitternacht bei bestem Mond beschossene Sau, ein Keiler mit angesagten 70+ kg, geht hochflüchtig ab – eine erste Kontrolle zeigt Schweiss am Anschuss. Der Schütze sucht nicht weiter, sondern verständigt am Morgen die Nachsuchenstation.

Um 9.30 Uhr startet Fex mit Falko am Anschuss, wo ausser Schweiss auch etwas Feist zu finden ist. Die Fährte wird immer wieder mit etwas Schweiss bestätigt und führt alsbald vom lichten Buchenwald in einen bürstendichten Fichtenbestand, der zudem mit Brombeeren durchrankt ist. Das Fortkommen ist beschwerlich, wenigstens immer wieder Schweiss, aber irgendwann wird es so dicht, dass man nicht mehr weiterkommt. Der Hund arbeitet verschiedene Abgänge, macht dabei zwei Schnepfen hoch. Steckt die Sau irgendwo hier oder hat sie die Dickung in irgendeine Richtung verlassen? Nein, so geht es nicht weiter. Mit aller Kraft raus aus dem Gewirr und nochmal neu ansetzen.

Manchmal braucht es auch einfach Glück – kaum dass ich mich aus den Ranken gearbeitet habe, liegt Falko fest im Riemen und zieht über eine ca. 100 m lange Buchenverjüngung zur nächsten Dickung. „Da gehe ich jetzt aber nicht rein – so ohne Bestätigung“  – und dann, auf den letzten Buchenblättern – zwei Tropfen Schweiss, wir sind wieder dran!“ Die Sau hat einen Bogen geschlagen und geht nur um knapp 50 Meter versetzt zurück in Richtung Anschuss, rechts sieht man schon die geparkten Autos durch die Bäume schimmern. Schweiss am Boden, Gewebe, sogar ein Stück Darm, ca. 70 cm lang hängt in den Brombeeren. Die nächste Dickung liegt vor uns, der Hund gibt Laut, steht vor und bewegt sich nicht mehr. Der Schütze wird in Position gebracht, auf den Knien geht es langsam vorwärts. Jetzt nichts riskieren, es ist so eng dass man einer annehmenden Sau nicht ausweichen kann – das Ganze dauert minutenlang, dann liegt der Hund wieder im Riemen und zieht aus der Dickung raus, er will weiter. Ich allerdings bin am Ende, die Arbeit in den Dickungen hat zuviel Kraft gekostet, das Garmin zeigt bereits 4,8 km an.

Ein Telefonat, und kurzentschlossen eilen Jörg und Basti zu Hilfe, die eigentlich schon auf dem Weg zu einer Drückjagd in den Norden waren. Nach kurzer Lagebesprechung nehmen sie mit Emma die Fährte an der letzten Dickung auf, ich setze mit dem Auto nach. Schon nach kurzer Zeit gibt der Hund Laut, zwei Schüsse fallen, der Schütze und ich ballen bereits die Siegerfaust, als Jörg per Funk durchgibt: „Sau hoch, gefehlt, Emma geschnallt!“. Und weiter gehts, mit dem Fahrzeug versuchen wir dran zu bleiben. Die Hatz geht talwärts, aus dem Wald in die Weinberge, über offenes Feld. Immer wieder sammle ich Jörg unterwegs ein und nehme ihn ein Stück mit, so bleiben wir Emma auf den Fersen, bis wir sie endlich am Rande eines Wohngebietes an den Riemen legen können. Doch sie will weiter, und so läuft Jörg mit ihr übers freie Feld, durch Raps, an einem Gehöft vorbei bis an verwilderte Schrebergärten – hier wird die Sau sich wohl in die Brombeeren eingeschoben haben? Und wieder heisst es, das Ganze umfahren und mich und den Schützen mit der Waffe abstellen – bis Jörg irgendwann anruft, der schon 200 Meter weiter an einem Bachbett angelangt ist und abgeholt werden möchte.

Nach kurzer Diskussion – schliesslich hatte Jörg seit dem Schnallen keinerlei Bestätigung mehr, über 6 km sind sie seitdem gelaufen – beschliessen wir, an der Dickung nochmals anzusetzen, an der Emma von Falko übernommen hat.

Mittlerweile sind über vier Stunden vergangen, beim Schützen steigt die Verzweiflung im gleichem Maße, wie seine Zuversicht sinkt – aber solange der Hund will und der Führer kann, geht es weiter. Und siehe da, Emma überläuft den Punkt, an dem sie zuvor die Sau hochgemacht hat. Also doch, was für ein blöder Zufall – eine gesunde Sau hatte sich direkt neben der Krankfährte eingeschoben und wurde vom Hund bei ihrem Mittagsschlaf gestört. Kein Wunder also, dass die nicht zu bekommen war, und letztlich aber auch ein Glück, dass sie gefehlt wurde.

Jetzt geht es zügig weiter, Emma hat die richtige Fährte angenommen und lässt nicht locker. Die Sau zieht weiter vor ihnen her, geht nicht ins Wundbett – sie weiss den Hund und die Jäger hinter sich und versucht, sich hangaufwärts zu arbeiten. Dabei passiert sie weitere Fichtendickungen, Klingen und Buchenverjüngungen. Ich habe mit dem Auto Mühe, dem Gespann zu folgen, muss oft weite Umwege fahren, um wenigstens parallel, wenn schon nicht voraus zu sein. Aber ich habe die drei immer auf dem Schirm, und irgendwann habe ich sogar den richtigen Schotterweg erwischt und kann ein ganzes Stück vorgreifen und der Dinge harren, die da kommen. Noch 200 Meter sind sie entfernt, 150 Meter, 120 Meter, dann plötzlich wird Emma laut – sind sie vielleicht nahe am Stück und Emma ist wohl schon geschnallt?

Wir steigen aus, ich packe die Waffe, schnell vier Patronen repetiert und schon taucht die Sau nur 50 Meter entfernt zwischen den Buchen auf – ein dicker Keiler zieht schwerfällig auf uns zu, ich sehe hinter ihm die rote Weste von Emma aufblitzen. Der Schütze flüstert heiser „Schiess, schiess, schiess doch endlich“, aber ich weiss nicht, wo Jörg und Basti laufen, sie müssen irgendwo unterhalb der Sau sein. Ich habe den Keiler im Visier, er zieht quer zum Hang und zeigt mir somit seine Breitseite. Als ich mit einem Auge Emma, Jörg und Basti rechts unten wahrnehme, lasse ich fliegen, einen zweiten Schuss gleich hinterher, die Sau knickt ein, rappelt sich und will nach unten, dann giftiges Kläffen, ein Schuss, kurze Stille.

„Sau liegt!“ Und schon hat mich der Schütze am Kragen gepackt, schüttelt mich, drückt mich, haut mir auf den Rücken, wir freuen uns wie die Kinder, und auch von unten kommen Freudenschreie. Den Schützen hält nichts mehr, er hastet so schnell den steilen Hang hinunter, dass ich fürchte er bricht sich alle Knochen. Ich muss einen ganz schönen Umweg fahren, um auf den unteren Weg zu gelangen. In der Zwischenzeit haben die drei die Sau schon auf den Weg gezogen, und mit den letzten Kräften wird sie auf den Pickup gewuchtet. Wozu hab ich eigentlich eine Winde? Egal, jetzt liegt sie oben, und wir fahren erschöpft, aber glücklich dahin zurück, wo vor genau sechs Stunden unsere Suche begonnen hat.

Kuno, die Nachwuchskraft, darf noch kurz die Sau beuteln, dann geht es für Jörg und Basti direkt weiter, sie haben noch 400 km zu fahren. Ich fahre mit dem Schützen zur Wildkammer, helfe ihm die Sau zu versorgen, bin natürlich auch neugierig, was sie auf die Waage bringt. Es sind aufgebrochen 96 kg – mit geschätzten 130 kg Lebendgewicht der schwerste Keiler in der Reviergeschichte, und für die Nachsuchenstation der zweite dreistellige Keiler in 8 Tagen! Das Wichtigste aber ist – keinerlei Blessuren bei Hunden und Führern, und der Sau wurde längeres Leiden erspart.

Auf dem Heimweg Nebel und Stau, und so komme ich erst um 17.30 Uhr zuhause an. Raus aus den nassen Klamotten, Hund und Waffe versorgen, alles für die Drückjagd am kommenden Morgen richten, schliesslich geht es für mich schon um 6 Uhr weiter…

Kurz mal kontrollieren…
Größer wie erwartet…